Einführung von finanzpolitischen Reserven für Einwohnergemeinden im Kanton Baselland

Der Regierungsrat hat im Januar beschlossen, dass die Baselbieter Einwohnergemeinden neu finanzpolitische Reserven bilden können. Die Bildung ist bereits im Rechnungsjahr 2019 zugelassen.

Das Ziel dieser Anpassung der Gemeinderechnungsverordnung (GRV) ist die Erleichterung der finanzpolitischen Steuerung der Gemeinden. In guten Zeiten kann nun eine finanzielle Reserve für schlechte Zeiten gebildet werden. Bis anhin diente der ordentliche Bilanzüberschuss (Eigenkapital) als Reserve für schlechte Zeiten, zu welchem zusätzlich Vorfinanzierungen für geplante Investitionen beschlossen werden konnten. Neu erhalten die Gemeinden ein zusätzliches Instrument, mit welchem sie in guten Zeiten das ausgewiesene Jahresergebnis verschlechtern und in späteren schlechten Zeiten verbessern können.[1]

Der Baselbieter Regierungsrat hat dazu in der Gemeinderechnungsverordnung den Artikel 24a ergänzt. Dieser besagt, dass finanzpolitische Reserven mit Beschluss der Gemeindeversammlung oder des Einwohnerrats gebildet bzw. entnommen werden dürfen. Die Einlage ist höchstens im Umfang des Ertragsüberschusses der betroffenen Rechnungsperiode zulässig. Entnahmen dürfen den Umfang der bestehenden finanzpolitischen Reserven nicht übersteigen. Das heisst, es dürfen keine Reserven vorbezogen werden. Vorbehalten bleibt der neue Art. 17 Abs. 2 GRV der Gemeinderechnungsverordnung. Dieser schreibt vor, dass ein Bilanzfehlbetrag soweit als möglich und nötig durch eine Entnahme aus den finanzpolitischen Reserven abzutragen ist. Ist in der Vergangenheit also eine finanzpolitische Reserve gebildet worden und zeigt die aktuelle Jahresrechnung einen Bilanzfehlbetrag, so ist die Entnahme zwingend und kein Beschluss der Gemeindeversammlung oder des Einwohnerrats notwendig.

Gleichzeitig definiert der Regierungsrat im neuen Art. 25 Abs. 1bis GRV, dass Einlagen in die finanzpolitische Reserve nicht budgetiert werden dürfen. Eine Ausnahme bilden Entnahmen, wenn sie in gleicher Höhe wie die Einlagen in Vorfinanzierungen budgetiert werden.

Gemäss Art. 14 Abs. 1 GRV werden die finanzpolitischen Reserven im Eigenkapital ausgewiesen und werden über die beiden Erfolgsrechnungskonten Einlagen in bzw. Entnahmen aus finanzpolitischer Reserve erhöht bzw. reduziert.

Was sind finanzpolitische Reserven?

Um zu verstehen, welche Auswirkungen diese finanzpolitischen Reserven auf die Jahresrechnung überhaupt haben, müssen zuerst andere Jahresrechnungspositionen betrachtet werden. Namentlich sind dies Vorfinanzierungen, Rückstellungen und Reserven im Allgemeinen, wobei HRM2 hier in erster Linie die Position Bilanzüberschuss/-fehlbetrag kennt. Im Zusammenhang mit finanzpolitischen Reserven ist davon die Position Rückstellungen wohl die Wichtigste.

Reserven bzw. Bilanzüberschuss/-fehlbetrag

Der Jahresgewinn des Geschäftsjahres wird nach HRM2 grundsätzlich dem Konto Bilanzüberschuss/-fehlbetrag zugewiesen. Das bedeutet, dass auf diesem Konto die kumulierten Gewinne und Verluste der vergangenen Jahre ausgewiesen werden.

Ein Bilanzüberschuss gemäss HRM2 ist mit den handelsrechtlichen freien Gewinnreserven zu vergleichen. Das heisst ein Bilanzüberschuss steht in der Gemeinderechnung für zukünftige schlechte Zeiten zur Verfügung. Aufgebaut hat er sich durch die guten Ergebnisse in der Vergangenheit.

Vorfinanzierungen

Vorfinanzierungen sind zweckgebundene Mittel für besonders bezeichnete Investitionsvorhaben, die noch nicht beschlossen oder noch nicht abgeschlossen sind und kommen damit den finanzpolitischen Reserven in ihrer Natur sehr nah. Sie werden von der Gemeindeversammlung oder vom Einwohnerrat beschlossen. In der Regel wird eine Einlage in die Vorfinanzierung vom Gemeinderat vorgeschlagen und die Gründe dafür in der Jahresrechnung erläutert. Die Errichtung der Vorfinanzierung und die jährliche Einlage stellen allerdings noch keine Bewilligung für das Investitionsvorhaben dar. Hierfür ist ein Gemeindeversammlungs- resp. ein Einwohnerratsbeschluss erforderlich.[2]

Rückstellungen

Rückstellungen sind eine Position des Fremdkapitals und stellen damit eine Verbindlichkeit des Unternehmens bzw. der Gemeinde dar. Sie werden erfasst, wenn vergangene Ereignisse (vor Bilanzstichtag) einen Mittelabfluss in zukünftigen Geschäftsjahren (nach Bilanzstichtag) erwarten lassen.[3]

Rückstellungen dienen der periodengerechten Abgrenzung von Aufwendungen und müssen gebildet werden, wenn die folgenden Voraussetzungen[4] erfüllt sind:

  • Vergangenes Ereignis
  • Erwarteter Mittelabfluss in künftigen Geschäftsjahren
  • Höhe des Mittelabflusses kann verlässlich geschätzt werden.

Das Ziel der periodengerechten Abgrenzung von Aufwendungen hat gleichzeitig zur Folge, dass keine zukünftigen Aufwendungen zurückgestellt werden dürfen. Dies würde gegen die Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung, konkret gegen den Grundsatz zeitlicher Abgrenzungen, verstossen.

…und was sind nun finanzpolitische Reserven?

Finanzpolitische Reserven stellen einen Bilanzüberschuss dar, welcher für schlechtere Zeiten auf die Seite gelegt wird. Buchhalterisch hat dies zur Folge, dass der Gewinn zum Zeitpunkt der Einlage reduziert wird. Dagegen kann ein zukünftig schlechtes Jahresergebnis durch eine Entnahme beschönigt werden.[5]

Finanzpolitische Reserven funktionieren analog wie eine Vorfinanzierung. Der Unterschied besteht darin, dass sie nicht in Zusammenhang mit einem Investitionsguthaben stehen, sondern einzig zur Bilanzpolitik verwendet werden.

Technisch gesehen ist eine finanzpolitische Reserve eine Rückstellung für zukünftigen Aufwand. Da solche Rückstellungen nicht zugelassen sind, werden die finanzpolitischen Reserven im Eigenkapital ausgewiesen. Diese stehen dem Eigentümer zur Verfügung und stellen keine Verbindlichkeit dar.

Kritische Würdigung

Finanzpolitische Reserven sind grundsätzlich von HRM2 vorgesehen und werden auf dem Konto 294 erfasst.[6] Bis anhin war im Kanton Basel-Landschaft die Bildung solcher Reserven aber nicht erlaubt. Bei der Totalrevision des Finanzhaushaltsgesetzes war die „Verbesserung der Transparenz über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage“ eines der übergeordneten Hauptziele. Die Einlage in bzw. die Entnahme aus der finanzpolitischen Reserve reduziert hierbei die Transparenz der Ertragslage enorm, weshalb man auf die Zulassung von finanzpolitischen Reserven verzichtet hat.[7]

Das Schweizerische Rechnungslegungsgremium für den öffentlichen Sektor (SRS), welches sich im Namen der Finanzdirektorenkonferenz mit der Weiterentwicklung von HRM2 beschäftigt, ist vom Instrument der finanzpolitischen Reserve nicht begeistert. Sie sehen es jedoch als kleineres Übel an, als wenn andere Instrumente wie die Rückstellungen, Rechnungsabgrenzungen oder Fonds für die finanzpolitische Steuerung verwendet werden.[8]

Mit der Einführung der finanzpolitischen Reserve verändert sich das Bilanzbild nicht signifikant. Der Bilanzleser muss zukünftig für die Beurteilung des Bilanzüberschusses auch die finanzpolitischen Reserven berücksichtigen. Komplexer wird es aber bei der Beurteilung der Ertragslage. Das Jahresergebnis ist nicht mehr transparent, nicht mehr vergleichbar, nicht mehr willkürfrei und die wirtschaftliche Betrachtungsweise ist nicht mehr gegeben. Alles Vorgaben, wie sie von der Fachempfehlung 02 bezüglich der Grundsätze ordnungsgemässer Rechnungslegung in HRM2 formuliert werden.

Gefährlich wird es, wenn diese Umstände für die Umsetzung eigener politischer Interessen ausgenützt werden. So könnte ein Ergebnis kurz vor einer Wahl bewusst positiv oder kurz vor Ablauf einer Leistungsperiode bewusst negativ beeinflusst werden.

Im Kanton Basel-Landschaft werden solche Risiken unter anderem dadurch adressiert, dass Einlagen in die finanzpolitische Reserve nicht budgetiert werden dürfen (Art. 25 Abs. 1bis GRV). Das verhindert, dass auf Basis des Budgets ein zu hoher Steuerfuss beschlossen werden könnte, wobei die Mehreinnahmen nur für die Äufnung von Reserven verwendet würden. Entnahmen dürfen nur für die Umwandlung in Vorfinanzierungen budgetiert werden. Das heisst, bestehende finanzpolitische Reserven dürfen nur für ein Investitionsvorhaben zweckgebunden werden. Das verhindert, dass Gemeinden aufgrund von zu hohen Aufwendungen in einen Liquiditätsengpass geraten.

Spannend wird zu beobachten sein, was die mittelbare Zukunft bringen wird. Das Postulat 2018/943 „Mehr Transparenz bei Jahresrechnung der Gemeinden“ fordert, dass Vorfinanzierungen abgeschafft werden sollen, weil diese für die Glättung von Jahresergebnissen zweckentfremdet werden. Die Abschaffung von Vorfinanzierungen in Kombination mit der vom Postulat unabhängigen Einführung von finanzpolitischen Reserven würde aber alles andere als mehr Transparenz in die Jahresrechnungen von Gemeinden bringen.

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[1] Vgl. Beschluss des Landrats vom 28.11.2019
[2] Vgl. Kapitel 9.1 Finanzhandbuch für die Baselbieter Einwohnergemeinden
[3] Vgl. Fachempfehlung 09 der Konferenz der Kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren
[4] Vgl. Schweizer Handbuch der Wirtschaftsprüfer Band Buchführung und Rechnungslegung S. 213
[5] Vgl. Medienmitteilung vom 14.01.2020 zum Landratsbeschluss vom 28.11.2019
[6] Vgl. Tabelle 11-2 Fachempfehlung 11 der Konferenz der Kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren
[7] Vgl. Abs. 2.1. Vorlage an den Landrat vom 25.06.2019
[8] Vgl. Abs. 2.2.2 Vorlage an den Landrat vom 25.06.2019

Autor

Portrait Adrian Schaller Kopie 1

A.d.r.i.a.n. .S.c.h.a.l.l.e.r

Mitglied der Geschäftsleitung, Mitglied des Verwaltungsrates, Geschäftsführender Partner
dipl. Wirtschaftsprüfer
MSc in Business and Economics
zugelassener Revisionsexperte